Eine aktive Hinterhand und ein fleissiges, flüssiges Vorwärts:

Zentraler Baustein für gesundes Gymnastizieren des Pferdes.

 

Nur mit einer guten Aktivität der Hinterhand kann ein Pferd letztlich auch korrekt über den Rücken gehen, sei es am Boden oder geritten.

Träumst Du manchmal von Versammlung? Oder sogar von einer Piaffe? Auch da ist ein lockeres, dynamisches Vorwärts auf feinste Hilfen als Grundstein unerlässlich.

Aber wie sieht die Praxis aus? Dynamisches Vorwärts tönt logisch, ist jedoch im Alltag oft nicht oder nicht konstant da:

  • Ist Dein Pferd manchmal “faul”? Oder sogar immer „triebig“?
  • Oder kennst Du folgendes Gefühl: Du reitest in einem schönen Vorwärts, willst mit einer Volte beginnen, aber der Schwung ist dahin und das Pferd wird triebig. Die Volte wird eckig und Du schaffst es nur mit Kraft oder Gerteneinsatz die aktive Hinterhand nach einiger Zeit wiederherzustellen.

Auch bei fortgeschrittenen Reitern und ihren Pferden passiert es häufig, dass mit einem Schulterherein begonnen wird und nach zwei, drei Tritten stirbt das Vorwärts ab. Wie oft sind Reiter deswegen immer wieder frustriert…

Um Dich auf dem Weg zu einer konstanten, aktiven Hinterhand Deines Pferdes zu begleiten, habe ich hier eine hilfreiche Checkliste zusammengestellt:

 


 

Checkpunkt 1:  Die Grunderziehung des Pferdes

 

Am Anfang aller Grossartigkeit oder eben des Übels steht die Grunderziehung des Pferdes. Viel zu oft wird vergessen, was die unspektakuläre Basis eigentlich für einen grossen Einfluss hat: Fleissiges Führen von A nach B:

 

⇒ Praxistipp: Achte darauf, dass wann immer Du das Pferd führst, dieses in einem fleissigen Vorwärts geht.

 

Ein kleines Beispiel um dies konkret zu veranschaulichen: Ich führe das Pferd von der Weide, es ist warm, das Pferd ein wenig „vollgefressen“ –  ziehe ich es hier hinter mir her, lasse ich es gemütlich dackeln, lege ich hier schon den Grundstein für ein triebiges Pferd beim Reiten oder longieren.

 


 

Checkpunkt 2:  Das Pferd lehren, auf feine Impulse zu reagieren

 

Auf “feine” treibende Impulse zu reagieren, kann jedes Pferd unabhängig von der Rasse lernen. Dabei gibt es keinen allgemein gültigen Standard, was ist eine “feine” Hilfe genau ist. Dies muss jeder Reiter für sich herausfinden und auch für sich entscheiden.

Wichtig ist jedoch: Wenn ich für mich die “feine” Hilfe einmal definiert habe – zum Beispiel, dass ich gerne hätte, dass mein Pferd auf “10 Gramm” einer bestimmten treibenden Hilfe vorwärts gehen soll –  muss ich dies dann konsequent mit einer geeigneten Technik immer so handhaben. Ohne Ausnahme!

Denn für ein Pferd ist es unverständlich und artfremd, wenn ich an einem Tag mit 1 Kilo an der Wade drücke und am nächsten Tag plötzlich wieder die gewünschte Reaktion bei 10 Gramm verlange. Oder noch verwirrender: wenn ich sogar innerhalb einer Reitsequenz hin und her wechsle. Das ist für Pferde nicht nachvollziehbar und sie werden dadurch immer verwirrter und deshalb immer grober und triebiger.

 

⇒ Praxistipp: Der Mensch benötigt eine klare Absicht, Beharrlichkeit und Beständigkeit! Es ist erfolgskritisch, sich ganz klar darüber sein, auf wieviel Druck oder Energie ich welche Reaktion des Pferdes bekommen möchte, und dass dies jeden Tag genau gleich einfordert wird.

 

Denn nur so ist flüssiges und dynamisches Vorwärts möglich!

 


 

Checkpunkt 3:  Das Interieur des Pferdes

 

Das Interieur des Pferdes unbedingt beachten! Nur ein mental und emotional entspanntes Pferd kann mit einer aktiven Hinterhand treten.

Stress in jeder erdenklichen Form verspannt Faszien und Muskeln. In der Folge kann das Pferd nicht mehr dynamisch arbeiten und es geht nicht mehr fleissig vorwärts.

 

⇒ Praxistipp: Wenn Umweltreize das Pferd ängstigen oder andere Faktoren beim Pferd zu Stress führen (z.B. andere Pferde in der Halle oder auf der Weide nebenan etc.) ist es wichtig, dem Pferd zunächst zu helfen, sich wieder zu entspannen.

 


 

Checkpunkt 4: Trainingsaufbau auf das Pferd abstimmen und an die Realität anpassen

 

⇒ Praxistipp: Das Pferd trainieren, das ich an dem Tag effektiv in der Realität vorfinde, und nicht ein Pferd, das ich gerne hätte oder das in Lehrbüchern als “Ideal-Zustand” beschrieben ist.

 


 

Checkpunkt 5:  Zustand der Faszien überprüfen

 

Die Fascia Thoracolumbalis ist die Brust-Lendenfaszie, hier in weiss dargestellt:

Quelle: 3D Horse Anatomy

Die Fascia thoracolumbalis ist eine zentral wichtige Struktur für:

  • Geschmeidiges Untertreten
  • Dynamisches Abfussen
  • Übertragung von Schub und Kraft aus der Hinterhand

Die Brust-Lenden Faszie (Fascia thoracolumbalis) ist beim Reitpferd durch Sattel und das Reitergewicht fast immer mehr oder weniger verspannt.  Auch viele orthopädische Probleme des Rückens und der Hinterhand haben ihren Ursprung in einer verspannten Brust –Lenden Faszie.

 

⇒ Praxistipp:  Testung: Ist das „Fell“ über dem Muskel verschiebbar?  

⇒ Praxistipp:  Lösen: Effleurage (leichtes Abstreichen mit beiden Händen mit max. 10 Gramm Druck).

⇒ Praxistipp:  Vor dem Satteln und nach dem Reiten bzw. Arbeiten des Pferdes die Fascia Thoracolumbalis mit einer leichten Effleurage wieder in den Fluss bringen.

 

Für ein fleissiges Vorwärts sind auch die Faszien am Hals, Schulterbereich und am Bauch von zentraler Bedeutung. Auch diese Bereiche profitieren von einer regelmässigen Effleurage.

 


 

Checkpunkt 6: Die Muskulatur

 

Die Rückenmuskulatur beim Pferd ist physiologisch gesehen keine Trage-Muskulatur ⇒ sie soll losgelassen, dynamisch arbeiten

 

⇒ Praxistipp:  Lerne, den Zustand der Rückenmuskulatur Deines Pferdes über den Reitersitz zu fühlen, vornehmlich über die Oberschenkel. Reitest Du mit einem weichen, lockeren, fliessenden Oberschenkel, wirkt sich dies immer positiv auf die Dynamik der Rückenmuskulatur des Pferdes und damit auf eine aktive Hinterhand aus.

 

Die tiefliegende Muskulatur des Brustkorbs (M. serratus), die Bauchmuskulatur und die tiefliegende Beckenmuskulatur müssen unbedingt gut arbeiten

 

⇒ Praxistipp:  Arbeite mit Reittechniken, die zum Ziel haben, den vorderen Brustkorb anzuheben! Denn nur so ist ein korrektes „über den Rücken gehen“ und somit auch eine aktiv tretende Hinterhand möglich.

 


 

Checkpunkt 7: Aufbau des Trainings

 

Die dynamische Muskulatur, aber insbesondere auch die statische Muskulatur will immer ein Wechselspiel haben zwischen Anspannen und Entspannen ⇒ Übergänge und Tempounterschiede sind hervorragend für das Training!

Die Muskulatur der Hintergliedmassen braucht eine lang andauernde konsequente Stärkung des Strecksystems im richtigen Rhythmus ⇒ aber Achtung: eilig ist nicht schwungvoll! Wenn das Pferd über seinem Tempo gehen muss, verspannt es sich und kann keine Muskulatur aufbauen.

Hinweis für alle, dies eilig haben: Muskeln, Sehnen und Bänder brauchen Monate, um sich an Trainingsreize anzupassen und müssen maximal an- und entspannen können.

 

⇒ Praxistipp:  Muskelaufbau funktioniert nur bei regelmässiger Durchführung des Trainings, allerdings mit Pausen von 24 – 48h dazwischen.

⇒ Praxistipp:  Kurze, regelmässige Trainingsintervalle bringen in den meisten Fällen mehr Erfolg als lange Sequenzen.

 


 

Checkpunkt 8: Passende Ausrüstung

 

Es versteht sich von selbst, dass ein dynamisches Vorwärts nur mit einem passenden Sattel / Longiergurt etc. möglich ist. Eine Überprüfung des Sattels durch einen guten Fachmann empfiehlt sich alle 6 Monate.

Auch die Passform des Zaumzeugs muss gut überprüft werden. Denn viele Muskeln und Faszien setzen im Genick-/Kopfbereich an und können durch ein zu enges Stirnband oder unpassende Kopfstücke irritiert werden.

 


 

Checkpunkt 9: Gesundheitliche Aspekte

 

Der Gesundheitszustand des Pferdes hat einen massiven Einfluss auf die Aktivität der Hinterhand: Hier einige Beispiele:

  • Stress (Aktivierung des Sympathikus):
    • verspannt die Faszien
    • führt zu einem generellen Sauerstoffmangel
    • das Gehirn wird nur noch zu 2% durchblutet -> Lernen unmöglich
  • Zu viel Zucker in der Ernährung (z.B. ausgiebiger Weidegang) erzeugt Probleme im Muskelstoffwechsel
  • Magenprobleme: Leider heute sehr sehr häufig anzutreffen, verhindern ein Anheben des Brustkorbs, wodurch die Hinterhand nicht mit Schub ab- und auffussen kann
  • Darmprobleme wie Kotwasser etc. erzeugen ein generelles Unwohlsein im Rumpfbereich wodurch die Aktivität der Hinterhand in der Mitte abstirbt und ein Anheben des Rückens nur marginal möglich ist
  • Lungenprobleme: Viele Pferde leiden heute unter COB -> dies führt u.a. zu Sauerstoffmangel in der Muskulatur und dadurch zu einer erhöhten Bildung von Laktat, welches dann Gewebe zerstört
  • Der Zustand der Zähne (Gebiss): Dieser hat einen enormen Einfluss auf den Rest der Gelenke und die gesamte Biomechanik des Pferdes
  • Orthopädische Probleme: Probleme im Bewegungsapparat wie Spat etc. sind oft versteckte, schleichende Schmerzprozesse die für den Besitzer nicht immer einfach zu entdecken sind

 

⇒ Praxistipp:  Wenn sich dieselben Probleme immer wieder zeigen, wenn ein schleppender oder gar kein Trainingsfortschritt in bestimmten Bereichen erkennbar ist: Das Pferd unbedingt bezüglich Schmerzen und gesundheitlichen Problemen abklären!

 


 

Checkpunkt 10: Sitz des Reiters

 

Der Sitz hat einen grossen Einfluss auf die Bewegungsmuskeln des Pferdes und soll diese nicht blockieren!

 

⇒ Praxistipp:  Lockerheit im Oberschenkel (Klemmer) ist von zentraler Bedeutung.

⇒ Praxistipp:  Ein locker mit den Bewegungen des Pferdes mitschwingendes, ausbalanciertes Becken ist eine notwendige Voraussetzung für dynamisches Abfussen und raumgreifendes Untertreten.

⇒ Praxistipp:  Eine jederzeit entspannte Wade bei treibenden Hilfen (richtiges Timing beachten!) sichert eine dynamisch arbeitende Bauchmuskulatur.

⇒ Praxistipp:  Unbedingt die Atmung nicht vergessen! Eine tiefe Bauchatmung sichert eine gute Balance und gibt dem Fluchttier Pferd mentale und emotionale Entspannung und Losgelassenheit.

 


 

Wenn du dich an den 10 Punkten und den Praxistipps dieser Checkliste orientierst, steht einer aktiven Hinterhand und einem fleissiges, flüssiges Vorwärts deines Pferdes eigentlich nichts mehr im Weg.

Falls Dich das Thema “Aktivierung der Hinterhand” fasziniert hat und Du mehr über die Hintergründe wissen möchtest, empfehle ich dir die Aufzeichnung meines Webinars zu diesem Thema! Dort findest du auch noch weitere tolle Praxistipps für das tägliche Training!

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