Mit dem Winter hält auch das unvermeidliche nass-kalte Wetter wieder Einzug, das bei Pferden mit chronischen Schmerzen im Bewegungsapparat (z.B. Arthrose) oder mit  Organbeschwerden (z.B. chronische Magen-/Darm-Probleme) diese leider oft verschlimmert.

Eine solche Verschlechterung geschieht allerdings häufig schleichend und wird gerne übersehen. Dabei ist es eine Frage der Lebensqualität und der Fairness (z.B. bei der Arbeit) unseren Pferden gegenüber, dass wir solche Schmerzsignale frühzeitig erkennen und somit darauf angemessen reagieren können!

In diesem Blog-Beitrag möchte ich auf die Wichtigkeit, schleichende chronische Schmerzprozesse frühzeitig zu erkennen, hinweisen und eine praktische Hilfestellung anbieten, worauf dabei geachtet werden sollte. Denn im Gegensatz zu akuten Schmerzen, die üblicherweise einfacher zu erkennen sind (starkes lahmen, gegen den Bauch treten, flehmen etc.) und auch eine wichtige Schutzfunktion für den Körper haben, entfällt bei chronischen Schmerzen diese Schutzfunktion für den Organismus und kann über Monate zu möglicherweise schwerwiegenden Gesundheitsstörungen führen.

 


 

Welche Auswirkungen können chronische Schmerzen bei meinem Pferd haben?

Schleichende chronische Schmerzprozesse beim Pferd können, wenn sie nicht rechtzeitig erkannt und entsprechende Massnahmen ergriffen werden, über Monate hinweg zu teilweise schwerwiegenden Gesundheitsstörungen führen! Dazu zählen

  • negative Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System
  • negative Auswirkungen auf den Atmungsapparat
  • negative Auswirkungen auf den Magen-Darm-Trakt (z.B. Magenschleimhautentzündungen oder -geschwüre)
  • negative Auswirkungen auf das Hormon-System (z.B. Tendenz zu Equinem Cushing Syndrom oder zu Equinem metabolischem Syndrom)
  • negative Auswirkungen auf Nerven und Muskeln
  • starke negative Auswirkungen auf die Psyche, das emotionale Wohlbefinden

Fazit: Schleichende chronische Schmerzprozesse bedeuten für das Pferd weitreichende Gesundheitsstörungen und eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität!

 


 

Spricht man PferdebesitzerInnen auf Schmerzsymptome an, so hört man häufig Sätze wie:

„Also solange der auf der Wiese noch mit den anderen so rumgaloppiert fehlt dem bestimmt nichts“

oder

„ich habe ihn gerade vorhin auf dem Paddock mit einem anderen Pferd spielen gesehen, das würde er doch nicht machen wenn er Schmerzen hätte“

oder

„Auf dem Gruppenausritt geht er super vorwärts, da wären andere froh ihre Pferde wären auch so fleissig und so fit“

Doch es gilt: Bitte nie vergessen, dass jegliche Art von Aufregung – sei es positiv im Sinne von Freude oder negativ im Sinne von Angst, Stress etc. – im Stoffwechsel des Pferdes zu Hormonausschüttungen führt, die schmerzstillend wirken!

Solche Momentaufnahmen sollten daher nie verallgemeinert werden oder dazu führen, dass man denkt das Pferd könnte keine chronischen Schmerzen haben und sei fit und gesund!

 


 

Wie kann ich chronische Schmerzen bei meinem Pferd frühzeitig erkennen?

Pferde leiden oftmals trotz chronischer Schmerzen monatelang still vor sich hin, bevor sie die offensichtlichen und nicht mehr zu übersehenden Anzeichen wie Abmagerung, ein stumpfes Fell, kleine und eingesunkene Augen, Apathie und in-sich-gekehrt-sein, oder sich nicht mehr hinlegen etc. zeigen.

Durch eine Früherkennung von chronischen Schmerzsignalen kann diese stille Leidenszeit, die wie oben beschrieben mit signifikanten negativen  Auswirkungen auf die Gesundheit und auf die Lebensqualität unserer Pferde einher geht, verkürzt und geeignete Massnahmen rechtzeitig ergriffen werden.

Das Vorhandensein bzw. die Zunahme von chronischen Schmerzen zeigt sich zunächst oftmals nur in kleinen, feinen Veränderungen im Verhalten:

  • ein klein wenig unruhiger stehen beim Satteln
  • sich die Trense nicht mehr ganz so einfach ins Maul legen lassen oder den normalerweise gesenkten Kopf beim „über die Ohren ziehen des Zaums“ plötzlich anheben
  • ein bisschen öfter müde
  • ein bisschen mehr in sich gekehrt
  • sich nicht mehr ganz so gerne überall berühren und streicheln lassen

 

Auch leichte Veränderungen bei der Arbeit mit dem Pferd sollten hellhörig machen:

  • etwas weniger motiviert / „fauler“ bei der Arbeit
  • plötzliche Unruhe oder Erregtheit bei der Arbeit, die vorher nicht da war (–> oft denkt man es hätte mit Stallübermut / Ende der Weidesaison etc. zu tun, dies ist aber oftmals nicht der wirkliche Grund!)
  • Lektionen, die nicht mehr so geschmeidig ausgeführt werden (z.B. Biegungen, Wendungen etc.)
  • plötzliches und vermehrtes auf die innere oder äussere Schulter fallen in Volten und bei Seitengängen
  • in Übergängen vermehrtes auf die Hand legen
  • sich bei Übergängen aus der Anlehnung heraushebeln (insbesondere beim Angaloppieren)
  • vermehrtes auf dem Gebiss kauen (insbesondere bei der Handarbeit)
  • an der Longe vermehrtes nach innen drücken oder nach aussen weichen
  • an der Longe beim Antraben den Kopf plötzlich immer ein wenig anheben, obwohl beim Pferd zuvor eine konstante Dehnungshaltung erarbeitet worden war
  • sich in den Seitengängen im Genick verwerfen

 

Auch im Stall oder in der Gruppe sollten folgende Beobachtungen ernst genommen werden:

  • Pferd sondert sich öfter mal ab, döst häufiger
  • Pferd ist plötzlich aggressiv / unleidlich gegenüber Boxennachbarn oder Gruppenmitgliedern, legt neuerdings ab und zu die Ohren an, was es früher nicht machte.

 

Auf körperlicher Ebene können folgende Veränderungen auf chronische Schmerzen hindeuten:

  • da und dort sind Muskeln / Faszien schleichend verspannter als noch vor einigen Tagen / Wochen
  • das Pferd verliert plötzlich an Muskulatur, obwohl die Arbeitsintensität gleichbleibend ist
  • das Pferd hat in Ruhe oder bei der Arbeit eine leicht erhöhte Atmung und/oder Puls

 

Zur Erkennung von Schmerz bietet es sich auch an, die Mimik des Pferdes zu beobachten. Berührt man beim Streicheln oder Abtasten eine Stelle, die dem Pferd unangenehm ist, reagiert es meist mit:

  • Auge blinzeln oder
  • Lippen zittern oder
  • Atmung verändern oder
  • Maul anspannen oder
  • Leichtes Zucken, je nachdem auch an der Stelle wo man berührt

 

Generell gilt: Diese Verhaltensweisen müssen alle nicht „riesig“ sein. Es sollte unbedingt auch auf kleinste wahrnehmbare Veränderungen geachtet werden!

 


Die Pferde-Mimik-Skala

Eine wertvolle Hilfe kann auch die Pferde-Mimik-Skala (oder Horse Grimace Scale, HGS) sein. Folgende Ausprägungen weisen auf Schmerzen oder zumindest auf ein Unwohlsein hin:

  • Abweichen der Ohren aus der Grundstellung: Tendenz rückwärts oder sogar permanent steif rückwärts (–> Die normale Grundstellung wäre ohne Anspannung nach vorne aufgerichtet oder nach aussen, bei Müdigkeit nach seitwärts fallen gelassen)
  • Augen: Teilweise oder ganz geschlossene Augen, insgesamt reduziertes Augenvolumen
  • Stirn: Spannungszustände im Bereich der Muskulatur oberhalb des Auges, Knochen stehen dann markant hervor
  • Angespannte Kaumuskulatur
  • Maul: Zusammengepresste Lippen, angespanntes Maul, Grübchenbildung, betontes Kinn
  • Nüstern: Angespannt, haben nicht mehr die normale Form

Eine interessante Studie hat diese Horse Grimace Scale (HSG) als Schmerzindikator im Zusammenhang mit Kastrationen entwickelt:

Development of the Horse Grimace Scale (HGS) as a Pain Assessment Tool in Horses Undergoing Routine Castration


 

Was kann ich machen, wenn ich bei meinem Pferd Schmerzsymptome erkenne?

Bevor offensichtliche und unübersehbare Schmerzsymptome erkennbar werden, kommt es häufig vor, dass die Vermutung, etwas könnte mit dem Pferd nicht in Ordnung sein, mit einer einzelnen Beobachtung oder auch einem „schleichenden“ Bauchgefühl beginnt.

Ist dies der Fall, hat es sich bewährt, das Pferd über mehrere Tage zu beobachten und sich Notizen zu machen:

  • Was: welches Verhalten oder welche Veränderung ist konkret aufgefallen?
  • Wo: in welchen Situationen wird diese Auffälligkeit beobachtet? Fällt mir plötzlich auch in anderen Situationen ein auffälliges Verhalten oder eine Veränderung auf?
  • Wann: wie häufig beobachte ich das auffällige Verhalten? Nimmt die Häufigkeit allenfalls zu?
  • Wie: wie wurde das Pferd gearbeitet? Wie war beispielsweise das Wetter? Gab es weitere mögliche Einflussfaktoren?

Auch empfiehlt es sich, das Pferd regelmässig abzutasten und die Reaktionen zu beobachten (wie weiter oben beschrieben).

Zudem zahlt es sich aus, sich etwas mehr Zeit zu nehmen und sich vor oder nach der Arbeit hinzusetzen und das Pferd im Stall oder in der Gruppe ausgiebig zu beobachten.

Aus den gesammelten Informationen lassen sich dann je nach Wissenstand auch schon selber erste Rückschlüsse ziehen und allenfalls erste Massnahmen einleiten. Dazu zählen beispielsweise:

  • eine auffällige Muskulatur massieren
  • verklebte Faszien lösen
  • ein ausgedehnter, entspannter Spaziergang anstelle einer Longiereinheit
  • auf dem Ausritt zwischendurch mal absitzen
  • etc.

Um die Beobachtungen und die eigenen Rückschlüsse überprüfen zu lassen, für eine fachlich kompetente Diagnose sowie um geeignete Therapie- und Trainingsansätze für eine gezielte und vor allem auch nachhaltige Beseitigung der Schmerzen zu finden, lohnt es sich jedoch in der Regel, einen kompetenten und gut ausgebildeten Therapeuten oder einen spezialisierten Pferde-Tierarzt zu Rate zu ziehen. Zum Wohle des Pferdes und im Sinne der Fairness unserer geliebten Vierbeiner gegenüber!